Spirituelle Essenzen


Es ist schwer, in einer Zeit, in der der Materialismus und unsere fast vollständige Identifikation damit die Oberhand hat, etwas Wesentliches über Spiritualität auszusagen.
Hier 3 wunderbare Texte dazu, die denen, die offen sind, evtl. neue Räume erschließen können:

***************************

Was ist spirituelle Erkenntnis?

Die Überzeugung Geist zu sein? Nein, das ist nur ein Gedanke.
Worte, ob sie ausgesprochen und in Klang umgesetzt oder nur in Gedanken geformt werden, können eine fast hypnotische Wirkung haben. Man verliert sich leicht in ihnen und lässt sich zu der stillschweigenden Überzeugung verleiten, wenn man etwas mit einem Wort benannt hätte, wüsste man, was es ist. Tatsache ist aber: Man weiß nicht, was es ist. Man hat lediglich das Geheimnis mit einem Etikett versehen.
Alles ist letztlich unbegreiflich. Das liegt an seiner unauslotbaren Tiefe.
Spirituelle Erkenntnis ist die Einsicht, dass alles, was ich wahrnehme, erfahre, denke oder fühle, letztlich gar nicht ich bin und dass ich mich in all den Dingen, die ständig vergehen, gar nicht finden kann.
Was bleibt, ist das Licht des Bewusstseins, in dem Wahrnehmungen, Erfahrungen, Gedanken und Gefühle kommen und gehen. Das ist Sein, das tiefere, wahre Ich. Wenn ich mich darin erkenne, ist alles, was in meinem Leben geschieht, nicht mehr von absoluter, sondern nur noch von relativer Bedeutung. Ich weiß es zu würdigen, aber es verliert seinen totalen Ernst, seine Schwere. Das Einzige, war letzten Endes zählt, ist dies: Kann ich mein wahres Sein, das „Ich-bin“, zu allen Zeiten im Hintergrund meines Lebens spüren? Um es noch genauer zu sagen: Kann ich das „Ich-bin“ in diesem Augenblick spüren? Kann ich meine wahre Identität als reines Bewusstsein spüren? Oder verliere ich mich selbst in dem, was geschieht, im Denken oder in der Welt.
(C) Von Eckhart Tolle

*************************************************


Das EINE ist meine wahre Natur
und die Natur aller Wesen.
ES ist zeitlos und unwandelbar,
ES entfaltet sich in der Zeit.
ES offenbart sich als diese Form, die ich bin.

ES entstand nicht bei meiner Geburt,
ES vergeht nicht im Tod.
ES ist weder gut noch böse
und mit nichts vergleichbar.
ES ist wie der Ozean,
der unverändert bleibt,
auch wenn er Millionen von Wellen wirft.

Dieses EINE ist der Urgrund aller Dinge.
ES ist unendlich.
ES hat nie angefangen
und ES hört niemals auf,
denn ES kennt keine Zeit.
ES ist gleichsam der,
der hinter allen Handlungen steht.
Als dieser »Zeuge« ist ES mein wahres Wesen.

ES übersteigt alle Theologie, Philosophie,
Theodizee und Metaphysik.
ES hat nichts mit Glauben zu tun,
ES lässt sich nur erfahren.
ES ist das grenzenlose, absolute Jetzt.

Aus diesem absoluten Jetzt
steigen die vielen Formen
und Wesen des Universums auf
wie aus einem unendlich tiefen,
nie versiegenden Brunnen.

ES ist die Ursache der Ursache der Ursache,
aber nicht im Sinn von Ursache und Wirkung.
ES ist das »Nichts«, das sich immer wieder neu ausformt.
Alle Dinge und alle Lebewesen – und auch wir Menschen –
bestehen aus diesem reinen, ursprünglichen Nichts.

Wir sind eine Form des Nichts,
so wie ein goldener Ring die Form des Goldes ist.
Der Ring ist nicht das Gold und das Gold ist nicht der Ring –
aber als Ring aus Gold sind beide eins.
Das Gold gibt dem Ring die Existenz,
bleibt aber davon unberührt.

So bestehen Menschen,
Tiere, Bäume, Blumen,
Steine, Wasser, Berge,
Planeten, Monde, Sonnen,
Spiralnebel und wir selbst,
unsere Gefühle, Gedanken und Intentionen
aus dem EINEN.
Das EINE ist gleichsam unser Familienname.
Wir sind alle von dieser »einen Familie«.
ES ist der Nenner, an dem alle Zähler partizipieren.

Da wir dieses EINE sind,
sind wir auch nicht entstanden
und werden nicht vergehen.
Unser wahres Wesen ist ungeboren und unsterblich.
ES war immer schon da –
nur die Form ändert sich in jedem Augenblick!
So wie die Wellen immer ihre Form verändern
und doch der gleiche Ozean bleiben.
ES ist nicht immer die gleiche Welle,
aber immer das gleiche Wasser.
Das EINE bleibt immer gleich
und wandelt sich nie.

Die äußere Form wird sterben,
aber was wir zutiefst sind
ist unvergänglich und unzerstörbar.
ES entsteht nicht bei unserer Geburt.
ES grenzt sich nur ein in diese Form.
ES geht im Tod nicht unter,
ES verliert nur diese Form.

Auch wenn es Menschen gibt,
die Erinnerungen haben,
als hätten sie schon einmal
oder gar mehrmals gelebt,
wäre ES immer nur dieser Urgrund,
der die vielen Erfahrungen macht.
Die äußere Form wird sterben,
aber was wir wirklich sind
kennt keine Zeit.

Wir tragen das Gesicht des EINEN.
ES lässt sich auch hinter dem Bösen nicht verbergen.
Wenn Du im EINEN ankommst,
wirst du ES wiedererkennen.
ES ist dir urvertraut.
Dann wirst du wissen,
dass ES immer dasselbe war,
schon vor deiner Geburt,
vor der Geburt
deiner Eltern,
vor ewigen Zeiten
und am Ende der Welt.

Die Welt mag untergehen,
doch auch als Untergang manifestiert sich das EINE.
Untergang ist nie Untergang,
sondern Fortgang auf einer anderen Ebene und Neubeginn.

In der tiefen spirituellen Erfahrung
werden wir gewahr,
dass ES selbst ganz still ist
und nur die äußeren Formen kommen und gehen.
Dann endlich erkennen wir,
dass wir uns immer schon gekannt haben
und entdecken,
dass wir wiedergefunden haben,
was wir immer schon gewusst
und nur vergessen hatten.
ES gibt nur das zeitlose Jetzt.

(C) Von Pater Willigis Jäger,
Benediktinermönch und Zen-Meister (1925 – 2020)

*************************************************

Aus den Tagebuch-Einträge von Ken Wilber, einer der weltweit bekanntesten Bewusstseinsforschers und Begründers der ‚Integralen Theorie‘ (Netzfund):

„Ich erkannte die ganze Bedeutsamkeit der Meditationspraxis, als ich die folgende Zeile des großen Sri Ramana Maharshi las: ‚Was nicht im traumlosen Tiefschlaf gegenwärtig ist, ist nicht wirklich.‘

Dies ist eine schockierende Aussage, weil im Zustand des traumlosen Tiefschlafs nichts, buchstäblich nichts ist. Und genau darauf wollte er hinaus. Die höchste Wirklichkeit (oder der GEIST) kann Ramana zufolge nicht etwas sein, das im Bewusstsein auftaucht und dann wieder verschwindet. Es muss etwas sein, das beständig und dauerhaft ist oder, technisch ausgedrückt, etwas, das zeitlos ist und deshalb zu jedem Zeitpunkt voll gegenwärtig ist. Deshalb muss die höchste Wirklichkeit auch im traumlosen Tiefschlaf voll gegenwärtig sein, und alles, was in diesem Zustand nicht gegenwärtig ist, ist nicht die höchste Wirklichkeit.

Dies verunsicherte mich zutiefst, weil ich schon mehrere Kensho- oder Satori-ähnliche Erfahrungen (Erfahrungen des Einen Geschmacks) gehabt hatte, die aber alle auf den Wachzustand beschränkt gewesen waren. Und schließlich existierten die meisten Dinge, die mir lieb waren, im Wachzustand. Aber es ist auch klar, dass der Wachzustand nicht beständig ist. Er kommt und geht im Rhythmus von 24 Stunden.

Und doch gibt es den großen Weisen zufolge etwas in uns, das immer bewusst ist, das jederzeit und in allen Zuständen, im Wachen, Träumen und Schlafen ganz buchstäblich bewusst ist und gewahrt. Und dieses allgegenwärtige Gewahren ist der GEIST in uns.

Dieser zugrunde liegende Strom eines konstanten Bewusstseins (oder nichtdualen Gewahrens) ist ein unmittelbarer und ununterbrochener Strahl des reinen GEISTES selbst. Es ist unsere Verbindung zur Gottheit, unser direkter „Draht“ zu Gott. Wenn man also seine höchste Identität mit dem GEIST erkennen will, muss man sich in diesen Strom eines konstanten Bewusstseins hineinbegeben und in allen Zustandsveränderungen – Wachen, Träumen, Schlafen – in ihm bleiben.

Dadurch befreit man sich erstens von der ausschließlichen Identifikation mit einem dieser Zustände (dem Körper, dem Geist, dem Ich, der Seele), und zweitens kann man das erkennen, was in all diesen Zuständen konstant – oder zeitlos – ist, und sich mit ihm identifizieren, nämlich dem Bewusstsein als solchem, das nichts anderes ist als der zeitlose GEIST.

Ich hatte schon etwa 20 Jahre lang recht intensiv meditiert, als ich auf diese Zeile Ramanas stieß. Ich empfing Unterweisung in Zen von Katagiri und Maezumi, in Vajrayana von Kalu und Trungpa, in Dzogchen von Pema Norbu und Chagdud, und ich hatte mich – mal kürzer, mal länger – mit Vedanta, TM, Kaschmir-Shaivismus, christlicher Mystik, Kabbala, Caodaismus, Sufismus und vielem anderem mehr befasst.

Ich entdeckte Ramanas Aussage während eines intensiven Dzogchen-Retreats mit meinem wichtigsten Dzogchen-Lehrer, Chagdud Tulku Rinpoche. Rinpoche betonte ebenfalls, wie wichtig es ist, den Spiegel-Geist auf den Traum- und Tiefschlafzustand auszudehnen.

Es gelang mir dann immer wieder, kurzzeitig diese Konstanz des nichtdualen Gewahrens in allen Zuständen zu erreichen, was mir Rinpoche bestätigte. Aber erst ein Jahr später kam dies während eines äußerst intensiven Zeitraums von elf Tagen zur Vollendung, in dem das getrennte Selbst offenbar in einer radikalen, tiefen und gründlichen Weise starb.

Ich schlief während dieser elf Tage nicht, oder vielmehr: Ich war elf Tage und Nächte lang bei klarem Bewusstsein, obwohl Körper und Geist durch Wachen, Träumen und Schlafen hindurchgingen.

Inmitten der Veränderungen war ich unverändert; es gab kein Ich, das sich hätte ändern können, nur unbewegtes leeres Bewusstsein, den leuchtenden Spiegel-Geist, den Zeugen, der eins mit allem Bezeugten war. Ich kehrte einfach zu demjenigen zurück, was ich bin, und so ist es seither mehr oder weniger geblieben.

Sobald dieses konstante nichtduale Bewusstsein in einem Menschen zutage tritt, erwacht ihm inmitten der manifesten Welt eine neue Bestimmung. Man hat seinen eigenen Buddha-Geist, seine eigene Gottheit, seine eigene formlose, raumlose, zeitlose, unendliche Leerheit entdeckt, seinen eigenen Atman, der Brahman ist, seinen Kether, sein Christus-Bewusstsein, seine leuchtende Schechina – so viele Bezeichnungen für den Einen Geschmack. Dies ist unzweifelhaft so.

Genau dies ist die eigene wahre Identität, reine Leerheit oder reines, eigenschaftsloses Bewusstsein als solches, und so wird man von allem Schrecken und allem Grauen befreit, das notwendigerweise entsteht, wenn man sich mit einem kleinen Subjekt in einer Welt kleiner Objekte identifiziert.

Wenn man seine formlose Identität als Buddha-Geist, als Atman, als reiner GEIST oder Gottheit gefunden hat, begibt man sich mit diesem konstanten, nichtdualen, allgegenwärtigen Bewusstsein wieder in die geringeren Zustände, den feinstofflichen Geist und den grobstofflichen Körper hinein und belebt sie mit einem neuen Leuchten. Man bleibt nicht nur Formlosigkeit und Leerheit.

Man entleert sich von der Leerheit: Man gießt sich in den Geist und die Welt aus, man erschafft sie dabei und begibt sich in sie alle gleichermaßen hinein, vor allem und insbesondere aber in jenen besonderen Geist und Körper, der „man“ ist (und der in meinem Fall Ken Wilber heißt). Dieses niedrigere Selbst wird zum Vehikel des GEISTES, der man ist.

Dann entstehen alle Dinge einschließlich des eigenen kleinen Geistes und Körpers, der eigenen kleinen Gedanken und Gefühle in der großen Leerheit, die man ist, und sie befreien sich in diesem Entstehen zu ihrer eigenen wahren Natur, weil man sich mit nichts von all dem identifiziert, sondern all dies in der Leerheit und Offenheit, die man jetzt ist, spielen und entstehen lässt. Man erwacht als radikale Freiheit und singt die Lieder der leuchtenden Befreiung, strahlt eine Unendlichkeit aus, die zu offensichtlich ist, als dass man sie sehen könnte, und schlürft einen Ozean der Wonne.

Man sieht den Mond als Teil des eigenen Körpers, verbeugt sich vor der Sonne als Teil des eigenen Herzens, und all dies ist „einfach so“. In alle Ewigkeiten gibt es nur Das. Und doch hat man diese Freiheit nicht gefunden oder in irgendeiner Weise erlangt. Es ist einfach dieselbe Freiheit, die schon immer im Hause des reinen Zeugen wohnte. Man erkennt einfach das reine und leere Selbst an, das radikale Ich-Ich, das von Anfang an und immer schon das eigene natürliche Gewahren war, das man aber nicht bemerkte, weil man sich dem trunken machenden Film des Lebens hingegeben hatte.“
(C) Ken Wilber

***************************************
All dies zum Wohle des Ganzen!

Leave a Comment

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert